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Konzert am 15. Juni 2015

O quam mirabilis

Wie wunderbar ist doch das Wissen im Herzen der Gottheit
das urewig jedes Geschöpf hat erschaut!
Denn Gott, da er blickte ins Antlitz des Menschen, den er gebildet,
er sah all seine Werk insgesamt in dieser Menschengestalt.
Wie wunderbar ist dieser Hauch, der also den Menschen erweckte!

O virtus sapientiae

O Kraft der Weisheit, umkreisend die Bahn, die eine es Lebens,
ziehst um das All du die Kreise, alles umfassend.
Drei Flügel hast du:
In die Höhe empor schwingt der eine,
auf der Erde müht sich der zweite,
und all überall schwingt der dritte.
Lob sei dir, Weisheit, würdig des Lobes!

Hildegard von Bingen

Konzert am 2. Mai 2015

Der Mai

Im Galarock des heiteren Verschwenders,
ein Blumenzepter in der schmalen Hand,
fährt nun der Mai, der Mozart des Kalenders,
aus seiner Kutsche grüßend über Land.

Es überblüht sich, er braucht nur zu winken.
Er winkt. Und rollt durch einen Farbenhain.
Blaumeisen flattern ihm voraus und Finken.
Und Pfauenaugen flügeln hinterdrein.

Die Apfelblüten hinterm Zaun erröten.
Die Birken machen einen grünen Knicks.
Die Drosseln spielen auf ganz kleinen Flöten
das Scherzo aus der Symphonie des Glücks.

Die Kutsche rollt durch atmende Pastelle.
Wir zieh’n den Hut. Die Kutsche rollt vorbei.
Die Zeit versinkt in einer Fliederwelle.
O, gäb’ es doch ein Jahr aus lauter Mai!

Melancholie und Freude sind wohl Schwestern.
Und aus den Zweigen fällt verblühter Schnee.
Mit jedem Pulsschlag wird aus Heute Gestern.
Auch Glück kann wehtun. Auch der Mai tut weh.

Er nickt uns zu und ruft: „Ich komm ja wieder!“
Aus Himmelblau wird langsam Abendgold.
Er grüßt die Hügel und er winkt dem Flieder.
Er lächelt. Lächelt. Und die Kutsche rollt.

Erich Kästner